Immer mehr Zwangsräumungen – auch in Bayern
Immer öfter können Menschen, die zur Miete wohnen, diese nicht mehr zahlen, und das nicht erst seit der galoppierenden Inflation. Es gibt viele Gründe, warum sie trotz Zahlungsunfähigkeit ihre Wohnung nicht verlassen wollen oder können. Im schlimmsten Fall droht die Obdachlosigkeit. Oft bedroht der Wegzug aus dem Viertel und somit aus dem sozialen Umfeld die Lebensqualität erheblich. Auch ein psychischer Ausnahmezustand oder Krankheit können den Verbleib in der Wohnung dringend notwendig machen.
Doch in der Realität wird von Vermieterseite als letzte Maßnahme eine Zwangsräumung durchgeführt: ein Gerichtsvollzieher, teilweise in polizeilicher Begleitung, dringt gewaltsam in die Wohnung ein und zwingt die Bewohner zum Gehen. Des Öfteren kommt es dabei zu Verletzungen, manchmal sogar zum Tod der geräumten Person, die sich meist in einem Ausnahmezustand befindet. Zuletzt geschah das in Köln, als ein Mieter erschossen wurde, nachdem er die Beamten mit einem Messer bedroht hatte. Statt mit psychosozialer Versorgung und Rücksicht auf individuelle Bedürfnisse einzugehen, wird mit Härte und Zwang reagiert. Das ist die Folge einer Wohnungspolitik, die sich an Profit statt am Gemeinwohl orientiert.
Diese Einzelschicksale sind allein schon schlimm genug, dazu werden solche Zwangsräumungen leider immer häufiger. Im Jahr 2021 wurden insgesamt 29.000 davon durchgeführt. Besonders Bayern hatte im betreffenden Zeitraum einen starken Zuwachs vorzuweisen: 20 Prozent mehr als im Vorjahr, also nunmehr ganze 3400 Räumungen. Und das sind lediglich die Zahlen für das vergangene Jahr, also vor dem Russland-Ukraine Krieg und einer zunehmenden Wirtschaftskrise. Mit der Inflation und den hohen Energiepreisen wird die Zahl für das laufende Jahr wohl nochmal deutlich ansteigen.
Das im Zuge der Coronakrise beschlossene sogenannte Mietmoratorium ist längst ausgelaufen. Es hatte zahlungsunfähige Mieterinnen und Mietern vor dem Rausschmiss aus ihrer Wohnung geschützt. Und obwohl die wirtschaftliche Lage sich seitdem verschlechtert hat, nahm die Bundesregierung dieses Instrument wieder zurück.
Beispiel Spanien
In Spanien lässt sich wie in einem Brennglas eine aus dem Ruder gelaufene Wohnungspolitik beobachten. Nirgendwo in Europa gibt es so wenige Sozialwohnungen (1,7%, europaweiter Durchschnitt ca. 10%). Immer mehr Ferienwohnungen, die die meiste Zeit des Jahres leer stehen, Spekulation mit Wohnraum und eine angespannte wirtschaftliche Lage tun ihr übriges. Der Staat kommt mit den Zwangsräumungen gar nicht mehr hinterher, und so werden immer häufiger private Schlägertrupps eingesetzt, ob von Immobilienkonzernen oder privaten Vermietern.
Doch es gibt dort eine interessante Bewegung von Menschen, die sich von Obdachlosigkeit bedroht sehen., Darunter junge Menschen ebenso wie Familien, Rentnerinnen und Rentner. Sie besetzen Häuser, Villen, sogar ganze Dörfer. Es gab im Jahr 2021 über 14.000 Anzeigen wegen Hausbesetzung, die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. Es ist eine politische Bewegung, die, mal still und heimlich, mal öffentlich, Häuser besetzt, sich gemeinsam gegen Zwangsräumungen zur Wehr setzt und die Wohnungspolitik anprangert.
Auch in Deutschland gab und gibt es Initiativen, die sich praktisch gegen die Wohnungskrise engagieren. Unter anderem in Berlin und Bremen bestehen Bündnisse aus Nachbarn und politischen Aktivistinnen und Aktivisten, die ebenfalls die Zwangsräumungen verhindern wollen. Mal über Druck auf die Verantwortlichen, mal, indem sie dem Gerichtsvollzieher per Sitzblockade den Weg in die zu räumende Wohnung versperren.
Auch hier in Giesing könnte eine solch dramatische Situation drohen. Die Mietpreise steigen und steigen, nicht zuletzt durch Projekte wie das „Candidtor“ oder „Isar Living“, ein riesiger Wohnkomplex zwischen Candidplatz und Isarauen, der augenscheinlich auch ein Jahr nach Fertigstellung noch zu großen Teilen leersteht.
Doch Zwangsräumungen sind oft nur das letzte Mittel und konkreter Ausdruck einer allgemeinen Entwicklung. Entmietung ist hier das Stichwort. Wenn keine unmittelbare rechtliche Handhabe besteht, um die Mieterinnen und Mieter loszuwerden, zum Beispiel, wenn an der Stelle ein Abriss für Luxuswohnungen Rendite verspricht, greifen manche Vermieter zu radikalen Mitteln. Darunter das Abstellen von Wasser und Strom, Renovierungsstopp, stetige Erhöhung der Miete, etc. Sogar eine Eigenbedarfskündigung eines ganzen Mietshauses in Untergiesing ist uns bereits zu Ohren gekommen. Solchen Entwicklungen können wir nicht individuell entgegentreten und offenbar können wir uns auch nicht auf die existierenden politischen Parteien verlassen, die bundesweit der Praxis der Zwangsräumung nichts Grundsätzliches entgegenzusetzen haben. Lassen wir es nicht dazu kommen und setzen wir uns als Nachbarschaft gemeinsam selbst zur Wehr!