Freiflächen Erhalten – Analyse der “Sozialwohnungen”
Die Münchner Wohnen GmbH präsentiert sich gern als kommunaler Schutzwall gegen den Wohnungsmangel. Sie verweist auf über 71.000 verwaltete Wohnungen, auf Neubauzahlen, die nachhaltige Entlastung bringen sollen, und auf ihr Selbstverständnis als „Garantie für günstigen Wohnraum“. Doch wer genau hinsieht, erkennt ein System, das trotz öffentlichem Mittel und kommunalem Eigentum kaum in der Lage ist, seine eigenen Ziele zu erreichen – und das die Verantwortung für strukturelle Versäumnisse auf die wenigen noch vorhandenen Freiflächen im Stadtgebiet abwälzt. Dabei wird häufig ausgeblendet, dass die Münchner Wohnen als privatisiertes Unternehmen organisiert ist: Mit entsprechenden Managementstrukturen, in denen teilweise Standards im hohen sechsstelligen Bereich gezahlt werden, fließen erhebliche Mittel in die Verwaltung statt in dringend benötigte Renovierungen oder in ausreichendem Personal wie Hausmeister und Handwerker.
Die Bebauung der städtischen Fläche südlich des Candidplatzes wird von Anfang an als beschlossene Sache behandelt. Die städtischen Unterlagen sprechen davon, „mögliche Konzepte für eine Bebauung, insbesondere für Wohnungsbau“ zu prüfen – nicht jedoch von der gleichwertigen Möglichkeit, diese letzte Fläche im Viertel dauerhaft freizuhalten. Diese Vorauswahl ist politisch brisant: Indem Bebauung als alternativlos dargestellt wird, wird der demokratische Diskurs über die Nutzung des öffentlichen Raums unterlaufen. Die Machbarkeitsstudie legt Varianten mit oder ohne Hochpunkt vor, aber keine Option ohne Bebauung. Das bedeutet: Die vermeintliche Beteiligung der Öffentlichkeit dient nur dazu, die Intensität der Bebauung zu diskutieren, nicht die Frage, ob sie überhaupt notwendig oder sinnvoll ist.
Dass die Münchner Wohnen hier als zentrale Akteurin auftritt, ist besonders problematisch. Die Gesellschaft, die aus GEWOFAG und GWG entstanden ist, sollte eigentlich die öffentliche Wohnraumversorgung stärken. Doch schon im ersten Fusionsjahr blieb sie weit hinter ihrem eigenen Anspruch zurück: Statt der angepeilten 2.000 neuen Wohnungen entstanden nur rund 800. Gleichzeitig befindet sich ein hoher Anteil der Bestände in einem Zustand, der dringend energetische Sanierung erfordert. Obwohl jährlich 4 % saniert werden sollten, wurden nicht einmal 1 % erreicht. Damit zeigt sich ein grundlegendes Missverhältnis: Eine Gesellschaft, die ihre Kernaufgaben nicht in den Griff bekommt, soll nun zusätzliche Flächen bebauen dürfen, während sie ihre bestehenden Bestände nicht mal ausreichend instand gesetzt oder klimatauglich gemacht hat.
In Giesing, wo seit Jahren massiv nachverdichtet wird, soll nun auch die letzte Freifläche bebaut werden. Die Argumentation lautet, hier entstünden „soziale Wohnungen“. Doch die Realität früherer Projekte belegt das Gegenteil. Beim benachbarten Neubauprojekt „Wohnen am Candidplatz“ war nur ein kleiner Teil der Wohnungen tatsächlich gefördert – ein Großteil landete im Portfolio eines institutionellen Anlegers. Die Stadt musste zugeben, dass ein Rückkauf der zuvor privatisierten Staatswohnungen rund 160 Millionen Euro gekostet hätte. Damit wird sichtbar, wie tief München bereits von renditeorientierten Strukturen abhängig ist. Wer heute verspricht, am Candidplatz entstünde bezahlbarer Wohnraum, verschweigt zudem, dass Förderungen zeitlich auslaufen und dass mit dem Auslaufen der SoBon künftig kaum noch sozial gebundener Wohnraum geschaffen wird. Gleichzeitig werten freifinanzierte Wohnungen das Viertel weiter auf und erhöhen den Druck auf die ortsnahen Mieten.
Der entscheidende Punkt aber wird bewusst ausgeblendet:
Wohnraummangel entsteht nicht nur durch fehlenden Neubau, sondern durch ungenutzte Leerstände, spekulativen Besitz und verfehlte Stadtpolitik.
Laut Zensus-Daten liegen in München rund 22.000 Wohnungen leer – genug, um zehntausende Menschen sofort unterzubringen. Das Argument, man müsse Freiflächen bebauen, um den Mangel zu lindern, ignoriert diese Tatsache. Statt zuerst leerstehenden Wohnraum zu aktivieren, ihn zu kommunalisieren, zu enteignen und Spekulation zu bekämpfen, wird die Verantwortung auf ein Viertel abgeschoben, das bereits überdurchschnittlich verdichtet ist.
Wenn Leerstand systematisch ungenutzt bleibt, weil Eigentümer*innen auf Wertsteigerung spekulieren, muss die Stadt handlungsfähig werden. Das Instrument der Enteignung ist verfassungsrechtlich verankert und ausdrücklich für Fälle vorgesehen, in denen private Interessen dem Gemeinwohl widersprechen. Der Wohnraummangel in München ist ein solcher Fall. Es gibt keinen sachlichen Grund, warum eine städtische Fläche bebaut werden soll, während gleichzeitig tausende Wohnungen aus rein ökonomischen Motiven nicht vermietet werden. Das Problem ist also nicht der Mangel an Boden, sondern der Mangel an politischem Willen, vorhandene Ressourcen effizient und gemeinwohlorientiert zu nutzen.
Im Viertel selbst würde die Bebauung des Candidplatzes nicht nur eine wertvolle Grün- und Sozialfläche vernichten, sondern auch ein entscheidendes Stück städtischer Lebensqualität. Giesing leidet bereits unter steigenden Mieten, fehlenden Jugendflächen, zunehmender Versiegelung und einem massiven Verlust informeller öffentlicher Räume. Der Candidplatz ist einer der letzten Orte, der ohne Konsumzwang genutzt werden kann – ein Ort, der Jugendlichen, Familien, Sportgruppen und informellen Begegnungen Raum gibt. Diese Qualitäten kann Neubau nicht ersetzen, sie wären unwiederbringlich verloren.
Die Entscheidung über die Zukunft des Candidplatzes ist deshalb mehr als eine planerische Frage. Sie ist ein politisches Statement darüber, wem die Stadt gehört. Gehört sie den Menschen, die hier leben und auf bezahlbaren Wohnraum angewiesen sind? Oder gehört sie einer Logik, die selbst im kommunalen Bereich nur noch Flächen als verwertbares Potenzial begreift? Die Bebauung der letzten Freifläche ist keine Lösung des Problems – sie ist ein Eingeständnis, dass man nicht bereit ist, sich mit den wirklichen Ursachen der Krise auseinanderzusetzen.
Leerstand zurück in die Nutzung. Wohnraum rekommunalisieren. Spekulation beenden.
Und Freiflächen erhalten – weil sie ein soziales Gut sind, das nicht nachproduziert werden kann.

Quellen:
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Münchner Wohnen GmbH – „München wächst – wir schaffen Heimat: Münchner Wohnen veröffentlicht Geschäftsbericht 2024“. Pressemitteilung, 2. Juli 2025. Link
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Münchner Wohnen – Geschäftsbericht 2024 (inkl. Daten zu Neubau- und Bestandsentwicklung). Link
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Candidplatz (südliche Fläche) – Stadt München: Infoseite „Südlicher Candidplatz“. Link
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Dokumentation der Informationsveranstaltung „Bebauung der städtischen Flächen südlich Candidplatz“ (12. März 2025). Stadt München. PDF-Link
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Stadt München – Wohnungsmarktdaten 2024: „Entwicklung des Wohnungsmarktes 2024“. PDF-Link
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Süddeutsche Zeitung – „München: Zahlen zum Wohnungsbau auf Tiefstand“. Artikel vom 19. Februar 2025. Link
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Rathaus Umschau – Bericht zur Machbarkeitsstudie Candidplatz und Bürger*innen-Dialog (7. März 2025). PDF-Link
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Merkur – „Widerstand am Candidplatz: Anwohner wollen unversiegelte Fläche erhalten“. Artikel vom 14. Juli 2025. merkur.de

