Das Ärztehaus am Candidplatz – eine kleine Architekturbetrachtung

In der Debatte um die Zukunft des Ärzte- und Bürozentrums Candidplatz 9-15 will ich einen nur wenig beachteten Aspekt hervorheben: die architektonische Qualität des Gebäudekomplexes, die meist nicht gewürdigt wird. Dabei ist die Architektur dieses Ensembles in meinen Augen von beeindruckendem Niveau – und auch deshalb in ihrer jetzigen Gestalt unbedingt erhaltenswert.

Die Baugruppe wurde in den Jahren 1981 bis 1984 errichtet. Nach Auskunft des Bayerischen Landesamts für Denkmalpflege wurde das Ensemble aufgrund seines geringen Alters noch nicht jener „vertieften Prüfung“ unterzogen, die Voraussetzung wäre, um es zum Baudenkmal zu erklären. (Andernorts ist man fortschrittlicher, da liegt die „Altersgrenze“ für eine Aufnahme in die Denkmalliste auch schon mal bei 30 Jahren).

Viele Kriterien für eine Unterschutzstellung würde der Gebäudekomplex klar erfüllen. Zunächst: Der bauzeitliche Zustand ist nahezu durchgängig erhalten, die Gebäude wurden praktisch nicht verändert. Das betrifft das gesamte Äußere (die jüngst erfolgte Street-Art-Bemalung das Gebäudes Nr. 15 ist reversibel).

Aber auch das Innere ist weitestgehend original überkommen, also etwa Ausstattungselemente wie Türen und Fenster, Bodenbeläge, Beleuchtung oder Kunst am Bau. Das trifft selbst auf die Gestaltung der Außenanlagen im Hof und im Umgriff zu. So entsteht ein Eindruck von außergewöhnlicher Einheitlichkeit – alles atmet die Ästhetik und den bauzeitlichen Geist der frühen 1980er-Jahre.

Diese Ästhetik unterscheidet sich freilich von der gegenwärtigen. Heute scheint mir als ‚schön‘ empfunden zu werden, was hell, sauber, glänzend aussieht. Das dürfte ursächlich sein dafür, dass manche diesen Bau als wenig ansprechend wahrnehmen. Dunkle Materialien, verschattete Zonen, nach außen eher abgeschottet – das wird derzeit oft wenig geschätzt.

In diesem Fall aber bedingt nicht zuletzt diese Ästhetik eine besondere Qualität des Bauwerks, und zwar seine städtebauliche Leistung. Man halte sich die Situation vor Augen: das Grundstück unterhalb des Stadions, eingespannt zwischen der sechsspurigen Straße, die sich als S-Kurve den Hang hinaufzieht, und der in den Hangtunnel leitenden Überbrückungsstraße. Durch seine dunkle Farbgebung, das quasi naturfarbene Braun, wie es sich hier etwa im Hangboden und in den Baumstämmen findet, passt sich der Bau farblich seiner Umgebung bestens an.

Überhaupt nimmt sich der eigentlich sehr mächtige Baukomplex zurück. Er bettet sich in die Hangsituation ein, trumpft nicht auf, setzt keinen überbetonten Akzent (man vergleiche dagegen die Planung zum Projekt „Candidtor“).

Denn statt einfach einen groben Klotz auf die Parzelle zu setzen, wurde das Gesamtvolumen aufgeteilt. So entstand eine Gruppe von Einzelbauten. Diese einzelnen Baukörper sind in ihren Abmessungen und in ihrer Kubatur variiert, und sie passen dabei in ihren Proportionen bestens zusammen. Sie sind locker gruppiert, ohne starre Symmetrien, und bilden belebende Vor- und Rücksprünge aus. Auf diese Weise ist ein abwechslungsreiches Ganzes entstanden, das beim Durchschreiten immer neue Ein- und Durchblicke gewährt.

 

 

 

 

 

Als vielfach abgestufte Gebäudegruppe erscheint der Komplex auch für den den Blick vom Stadionhang her. Von hier aus sieht man auch am besten die Dachaufbauten, welche der Versorgung dienen: Sie sind niedrig gehalten und von den Oberkanten der Baukörper elegant zurückgesetzt. Das trägt wiederum zur Auflockerung der Architektur bei. Was im Winter deutlich sichtbar ist, wird im Sommer in der Außenansicht vielfach  verdeckt durch die umgebenden Bäume: Die Randbepflanzung des Areals verschmilzt das Ensemble vollends mit der Umgebung.

Abwechslungsreiche Kubatur, Farbgebung und Pflanzkonzept sorgen dafür, dass sich der ausgedehnte Baukomplex ausgesprochen gelungen in die Hangsituation einfügt.

Aber diese Architektur kann auch anders. Da, wo es sinnvoll, ja städtebaulich geboten ist, tritt sie sehr entschieden auf, nämlich zur weiträumigen Kreuzung Candidstraße – Pilgersheimer bzw. Schönstraße hin. Hier macht der Bau markant Front. Ein starker Akzent ist an dieser wenig gestalteten Fläche erforderlich – sofern er mit den Dimensionen im Rahmen bleibt, den die Umgebung ihm setzt. Genau das gelingt dem Bau an dieser Stelle.

Hierin stellt die Architektur des Ärzte- und Bürozentrums ihr Niveau unter Beweis: Sie weiß, wo sie sich selbstbewusst bemerkbar machen soll, genauso, wie sie sich an anderer Stelle klug zurückzunehmen versteht.

Die ebenfalls bemerkenswerte Gestaltung im Inneren soll hier nicht Gegenstand sein. Dafür sei noch auf einige Elemente der architektonischen Gestaltung im Äußeren hingewiesen.

Alle Baukörper sind nahezu vollständig durchfenstert. Die Fenster bilden durchlaufende Bänder, was im Inneren für größtmögliche Helligkeit sorgt. Bestimmend für das ganze Erscheinungsbild sind zwischen diesen Fensterbändern die braunen Metallverkleidungen. Sie verbinden sich optisch mit den Fensterzonen, sie haben den gleichen Ton und sind in gleichlaufendem Takt gereiht. Dazu springen die Metallverkleidungen vor die Fensterfront leicht vor. Das sorgt für eine Belebung der Fassaden: Es ergibt sich ein rhythmischer Wechsel zwischen vorgewölbter Verkleidung und zurückliegenden Fenstern.

Und noch ein Merkmal ist zu betonen: dass diese Metallverkleidungen nach oben und nach unten abgeschrägt sind. Das verleiht ihnen etwas Polsterhaftes, Weiches. Besonders wirksam wird das an den oberen Gebäudekanten: Hier nimmt das den Baukörpern alles Scharfkantige. Dahinter verbergen sich übrigens die Flachdächer der Gebäude, die von allerlei Pionierpflanzen besiedelt sind – lange vor der heute modernen Dachbegrünung.

Unten erheben sich die Baukörper über einer Sockelzone. Hier ist das eigentliche Baumaterial, der Beton, offen sichtbar gemacht, und zwar in einer Zierform: als gespitzter Beton. Man sieht ein vertikales, „geriffeltes“ Streifenmuster, im Wechsel von zurückliegenden, glatten Streifen mit vortretenden, aufgerauten Streifen. Diese sehr aufwendige Gestaltung der Betonoberfläche kommt am auffälligsten zur Geltung an den großen Treppentürmen. Diese gerundeten Türme aus fensterlosem Beton bilden starke Akzente im Ensemble, als Abwechslung zu den verkleideten Fassaden, als Grau-Kontrast zum vorherrschenden Braun.

Die Terrakotta-Ziegel am Boden des Innenhofs und der Durchgänge bringen eine weitere Farbe hinein, die mit ihrem erdigen Ton bestens im Gesamtbild mitklingt. Dazu zieht der Hof auch noch die Bepflanzung der Außenbereiche ins Innere, mit Sträuchern und Bäumen. Dazu kommen schließlich die Bassins mit den ruhig spiegelnden Wasserflächen, die einen Anklang an japanische Gartengestaltung hineinbringen. Mit diesen „Naturelementen“ und dem erdig-warmen Rot seines Bodens ist der Hof als Herz der ganzen Anlage gestaltet.

Der Komplex Candidplatz 9-15 ist als Ärzte- und Bürozentrum mit Fitnessstudio, Kneipe u.a. im Stadtviertel-Leben fest verankert, von der Bevölkerung ist er sehr gut angenommen. Funktional haben sich die Gebäude seit Jahren bewährt. Dass das Ensemble auch architektonisch bemerkenswert ist, darauf sollte in diesen Zeilen hingewiesen werden. Man darf von dieser Architektur sagen, dass sie in ihrer Art und in ihrer Epoche zu den überzeugendsten Leistungen in München zählt.

Text und Fotos von Thomas vom Hans-Mielich-Platz