Der Opportunismus der Grünen – die (Nicht-)Ablehnung des Candidtors

Seit dem Winter letzten Jahres organisieren wir uns als Nachbarinnen und Nachbarn aus Untergiesing für einen Candidplatz für Alle. Seit dieser Zeit besuchen wir auch regelmäßig die Treffen des Bezirksausschusses – um uns positiv einzubringen, aber auch um die Unterstützung der Parteien zu bekommen, die in Untergiesing gewählt wurden, um unsere Interessen zu vertreten. In den Diskussionen mit den Parteimitgliedern im BA fiel uns auf, dass besonders die Grünen eine Positionierung gegen das Candidtor vehement vermieden. Wir würden sogar sagen, dass vor allem der BA-Vorsitzende Sebastian Weisenburger hinter den Kulissen das Projekt vorantreiben wollte. Nun haben sich die Bezirksgrünen in einer Pressemitteilung vom 21. Mai gegen das Projekt Candidtor „in seiner jetzigen Form“ gestellt. In der Pressemitteilung versuchen sie ihr Handeln als überlegt und neutral darzustellen. Sie löschen so ihren problematischen Umgang bezüglich des Projektes aus. Dabei haben sie dem Investor zugespielt, uns Anwohner:innen ignoriert, und das Projekt schon groß beworben. Wir wollen daher auf einige Stellen der Pressemitteilung eingehen.

 

Die Grünen schreiben:

Unsere grüne Fraktion im Bezirksausschuss 18 hat zunächst in der Stadtgestaltungskommission Bürger*innenbeteiligung eingefordert.

 

Fakt ist: Die Grünen haben auf der Stadtgestaltungskommission nichts eingefordert. Erst nach den vielen Protesten aus der Bevölkerung und unseren gut besuchten Versammlungen sahen sie sich gezwungen, im Rahmen eines Workshops eine erste mehr oder weniger öffentliche Infoveranstaltung durchzuführen.

Von Anfang an forderten wir eine Einwohnerversammlung zum Thema Candidtor. Das stieß im BA vor allem bei den Grünen auf Widerstand. Nach monatelangem Ausweichen schlugen sie statt einer demokratisch legitimierten Einwohnerversammlung einen scheindemokratischen Bürger*innen-Workshop vor. Nichts, was dort besprochen und vermeintlich abgestimmt wurde, hatte – im Gegensatz zu einer Einwohnerversammlung – eine rechtliche Bindung. Zudem stellte sich auf unsere Nachfrage heraus, dass der Workshop im Wesentlichen vom Investor organisiert und finanziert wurde. Kritische Fragen wurden nicht zugelassen, eine offene Diskussion vor allen Anwesenden verhindert. Es wurden nicht einmal alle Anwohner:innen des Viertels eingeladen. Darüber hinaus durfte der Workshop des Investors auch nicht gefilmt werden, um ihn damit für alle zugänglich zu machen. Der Workshop entpuppte sich somit als eine reine Werbeveranstaltung des Investors ehret+klein und wurde auch von den meisten Anwesenden so wahrgenommen.

 

Die Grünen schreiben:

Der Bezirksausschuss 18 bittet das Planungsreferat der Landeshauptstadt München, eine Gesamtplanung für das Areal Candidplatz zu erstellen, die sowohl das Anwesen Candidstr. 9 -15 als auch die städtische Fläche am Candidplatz südlich gegenüber umfasst und das Anwesen nicht als Solitär in der Umgebung zu betrachten. Hierbei sind die speziellen Bedarfe des Stadtviertels zu berücksichtigen, sind doch gerade Räumlichkeiten für soziale und kulturelle Nutzungen derzeit Mangelware.

 

Fakt ist: Die Grünen schreiben ihre Ideen nur ab. Das, was die Grünen hier fordern, ist im Wesentlichen das, was Stadtbaurätin Elisabeth Merk in der Stadtgestaltungskommission formulierte: eine “gemeinsame” Entwicklung einer öffentlichen und einer privaten Fläche. Der Bolzplatz am Candidplatz soll auf die Planung des Candidtors angepasst werden. Was eigentlich nur bedeuten kann, dass sämtliche Maßnahmen zur sozialen Nutzung auf dem Bolzplatz stattfinden sollen, während der Investor sich rein auf sein Gewerbe konzentrieren kann.

 

Die Grünen schreiben:


Sie haben sich nicht lautstark treiben lassen, sondern in Ruhe eine genaue grüne Position ausgearbeitet — und den entsprechenden Antrag zur Befassung im Bezirksausschuss eingereicht.

 

Fakt ist: Die Grünen haben ein doppeltes Spiel gespielt und sich vor uns Bürger*innen stumm gestellt, während sie schon Werbung für den Investor gemacht haben.

Sie hatten sich offiziell weder für noch gegen das Projekt positioniert. Nicht bei unserer Anfrage im November 2021 und auch nicht im Bezirksausschuss. Als leitende Partei im Viertel hatten sie bis zum April 2022, also gut über ein halbes Jahr, auf den öffentlichen Sitzungen des Bezirksausschusses, “keine Meinung” zum Projekt. Insofern stimmt es, was sie schreiben. Dafür konnte man dann aber schon am 21. Februar, also schon drei Monate(!) vor dem Bürger*innen Workshop parallel ein Interview mit BA-Chef Sebastian Weisenburger in der Süddeutschen Zeitung finden, der das Candidtor mit bekannten Bauwerken aus Mailand positiv verglich: Weisenburger (Grüne) sah sich an den Mailänder “Bosco Verticale” erinnert.

Als die Grünen realisierte, dass das Bauvorhaben auf erheblichen Widerstand innerhalb der Reihen der Bürger*innen traf, wählten sie die Taktik der Zurückhaltung, um sich dann im Laufe der Zeit gegen das Projekt zu wenden. Nun stellt sich uns die Frage: werden sie bei ihrer aktuellen Position bleiben?  

 

Die Grünen schreiben:

Außerdem sollen alle Möglichkeiten der Stadt ausgeschöpft werden, die dazu beitragen, das Leben und Wohnen im Viertel bezahlbar zu erhalten und Flächen für fehlende Angebote zu schaffen.

 

Fakt ist: Anstatt Entwicklungen wie das Candidtor zu verhindern, die die Mieten in die Höhe treiben, schieben die Grünen im Bezirk die Verantwortung an die Stadtregierung ab. Sie nennen hier keine Maßnahmen. Das ist vollkommen unkonkret und fast schon kurios, weil die Grünen ja selbst in der Regierung sitzen.

Unser Fazit

Es ist wichtig festzustellen, dass die Grünen nicht so neutral und sauber gespielt haben, wie sie es auf ihrer Webseite verlauten lassen. Neben der Frage des Vertrauens, wollen wir aber noch eine inhaltliche Kritik zu ihrer Positionierung bringen.

Wie viele Bürger*innen sehen auch die BA-Politiker*innen die Höhe und die bauliche Gestalt des sogenannten „Candidtors“ im jetzigen Entwurf kritisch. Beispielsweise stört man sich daran, dass der oberste der gestapelten Kuben “am massivsten” ist. Die Pressemitteilung und so auch der Antrag der Grünen beziehen sich ausschließlich auf die Gestaltung des Turmes. Sie kritisieren das Aussehen des Baus, aber nicht, wofür er politisch steht. Die Frage der Privatisierung der Gesundheit durch eine Unterversorgung im Viertel und eine gleichzeitig einsetzende Vertreibung von Kassenärzten durch steigende Mieten, die voranschreitende Gentrifizierung Untergiesings und die offenen Fragen der verkehrlichen Erschließung finden keinerlei Erwähnung. Der Sachverhalt für uns ist klar: hätten die Grünen die von uns genannten politischen Punkte in Ihre Pressemitteilung mit aufgenommen, so würden Sie in den Widerspruch geraten, dass nicht ausschließlich der „Baukörper“, also das Aussehen des Candidtors, abgelehnt werden kann. Man müsste sich mit den langwierigen Grundsatzproblemen herumschlagen. Wenn man all dies bedenkt, kann man sich bei einer sozialen, ökologischen und bürger*innenfreundlichen Herangehensweise nur gegen das Candidtor entscheiden. 

Die Pressemitteilung stellt unseren Protest dar, als ob wir uns einfach über ein paar Würfel und wie sie aufgestellt werden, aufregen würden. Das Problem ist aber vor allem, was in den Bau reinkommt, welche Profitinteressen der Investoren dahinter stecken und was das für unser Leben hier im Viertel bedeuten würde. Welche ökologischen, sozialen, gesundheitliche Nachteile es bringen könnte. Dass es so überhaupt nicht in dieser Masse und Höhe ins Viertel passt, ist nur ein Zusatz. 

Entschieden wird letztendlich im Stadtrat

Eine Stellungnahme des Bezirksausschusses ist wichtig, aber entschieden wird im Stadtrat, und da schaut es dann oft ganz anders aus! Daher brauchen wir jeden und jede von euch, um hier ein Gegengewicht zu setzen. Wir haben zuletzt eine echte Einwohnerversammlung erkämpft – und freuen uns, wenn ihr euch meldet und wir hier gemeinsam unsere Forderungen erarbeiten können!