Heißt die West bald „Values-Real-Estate Tribüne“?

Ehret+Klein suchen nach neuen Verbündeten. Und das wohl ausgerechnet im Umfeld des TSV 1860 München. Wie in der neuesten Ausgabe (Nr. 74) des Fanzine Brunnenmiller am Wochenende veröffentlicht, scheinen sich die “Projektentwickler” des Starnberger Unternehmens gemeinsam mit ihrem milliardenschweren Geldgebern VALUES Real Estate an Kleinunternehmer rund um die Münchner Fußball GmbH gewendet zu haben. Ist das noch nachbarschaftliche Etiquette oder schon Geschäftskalkül?

Sollte Michael Ehret sein Projekt wie gewünscht umsetzen dürfen, würden die Türme des Candidtors bald das Grünwalder Stadion überragen. Genau hinter der West. Bei jedem Heimspiel des TSV wäre das Gebäude dann im Blickfeld von mehreren tausend Sportbegeisterten. Im Stadion und im Live-Stream. Kostenlose Werbung für den Immobilienfond des Starnberger „Projektentwicklers“ vor einer prächtigen weiß-blauen Kulisse. Dieses Potential dürfte weder dem Projektteam noch den Investoren und Architekten bei der Planung entgangen sein. 

Der über 60 Meter hohe Bau soll hauptsächlich aus Büros bestehen. Internationale Großkonzerne wie Apple, Google und Meta versuchen derzeit, in München neue Hauptquartiere zu etablieren. Vielleicht bald schon am Candidplatz? Mitarbeiter solcher Konzerne könnten sich eventuell die horrenden Mieten leisten und gleichzeitig Giesing noch weiter gentrifizieren. Die derzeitige Nutzung des Bestandsgebäudes als Ärztehaus soll in Teilen erhalten bleiben, allerdings mit einer großen Veränderung: Ehret+Klein sowie VALUES Real Estate investieren großflächig und gezielt in die Privatisierung von Arztpraxen und Klinikkonzerne, um hohe Profite in diesem Markt zu realisieren. Ihr Engagement in Untergiesing kann man als einen Angriff auf die kassenärztliche Versorgung in ganz Giesing interpretieren. Seit über einem Jahr schon versuchen daher die Anwohnerinnen und Anwohner Untergiesings zu verhindern, dass der Bau überhaupt zugelassen wird: er ist nämlich so, wie er von den Investoren geplant ist, in Höhe und Masse gar nicht zulässig. Es gibt auch erhebliche Bedenken zu erhöhtem Verkehrsaufkommen, Emissionen und nachhaltige Beeinträchtigungen des Ökosystems rund um den Auer-Mühlbach.

Was die Fangruppen im Stadion von den Plänen halten, haben sie bereits zuvor im Brunnenmiller als auch in der Kurve zum Ausdruck gebracht. Deren Solidarität liegt eindeutig bei den Anwohnerinnen und Anwohnern Giesings. An der Basis von Sechzig ist also für Michael Ehret kein gut Kirschenessen. Da liegt es nahe, dass er sich nun mit einem Brief an Menschen wendet, die sein Wesen vermeintlich besser verstehen. Unternehmer wie er es einer ist.

Die Redakteure des Brunnenmiller bestätigten uns auf Anfrage, dass die Geschäftsführer Ehret und Bischoff gemeinsam mit der Projektleiterin Theresa Görner und Managing Direktor Frederik Schriever darauf dängen, sich möglichst noch vor Oster mit Unternehmern und Investoren des TSV 1860 München zu treffen. Sie wollen bei den Treffen über „das Viertel Giesing“ sowie ihr Projekt reden. Dabei sei es ein Anliegen, die Wünsche, Anregungen und Bedenken der Unternehmer aufzunehmen und zu verstehen. Mal wieder auf ein Bier oder Wein mit Herrn Ehret, um anderen Menschen erzählen zu können, dass er ja auch nicht von Luft und Liebe leben könne?

Wohl kaum. Hier geht es eher um hartes Geschäft. Wie kann meine Hand deine Hand waschen? Kleinbürgerliches Geschäftsgebaren mit den Milliarden der Hamburger Unternehmerfamilie John Jahr im Hintergrund. Ehret+Klein suchen Unterstützung für ihr Großprojekt und hoffen sie im Umfeld von 1860 zu finden, um so in Giesing einen Fuß auf den Boden zu bekommen. Sie wären nicht die ersten in Deutschland, die bei der Realisierung ihrer Immobilienprojekte Investitionen in ein Fußballunternehmen dazu nutzen wollen, sich als soziales und nahbares Unternehmen zu präsentieren. Beispiele für derlei „Sportswashing“ von Immobilienunternehmen im deutschen Profi-Fußball sind zahlreich: Viva West bei Schalke 04, Aroundtown bei Union Berlin, Vonovia beim VfL Bochum, die CG-Gruppe bei RB Leipzig und beim KSC, die Wohninvest Holding bei Werder Bremen sowie deren Tochtergesellschaft BrainHouse 247 bei Hannover 96. Warum nicht also auch VALUES Real Estate beim TSV 1860 München, wenn man schon in direkter Nachbarschaft zueinander steht?

Sicher gingen die erwähnten Anfragen nicht nur an Kleinunternehmer. Es wäre nicht weit hergeholt davon auszugehen, dass ähnliche Anfragen auch bei Sechzigs Investorenkonstrukt rund um Hasan Ismaik eingetrudelt sind. Gleich und gleich gesellt sich gern. An den wöchentlichen Spieltagen sind die VIP-Logen in Fußballstadien weltweit ein beliebter Treffpunkt für Unternehmer, um Geschäfte abzuwickeln und ein breites politisches und unternehmerisches Netzwerk aufzubauen. Um in die VIP-Clubs zu kommen, muss man Sponsoring übernehmen. Da wäre eine „VALUES Real Estate Tribüne“ mit dem Candidtor im Hintergrund mehr als nur gute Schmierseife! So von einer Unternehmerhand zur anderen.